"Ich bin gerade jetzt glücklich, weil ich
so lange unglücklich war. Es ist fast
unheimlich, glücklich zu sein."             
P.S.: Seit langem träumt die Charles-Bukowski-Gesellschaft davon, eine Gedenkstätte im Andernacher
Geburtshaus des Schriftstellers einzurichten. Das Haus an der Ecke Aktienstraße/Im Winkel beherbergt
"I look with much fondness toward
you and toward Andernach, where  
I began my life."
Aus einem Brief an Onkel Heinrich
                                        
 
Der Maro Verlag brachte 2007
eine Neuausgabe der Ochsentour
heraus. (Darin wieder das Foto,
das Bukowski beim Verlassen 
des Kölner Doms zeigt - ein
mittleres PR-Desaster. Wer
schleppte eigentlich Buk an
diesen Ort? Kein Freund.)
"Bukowski zelebrierte eine seltene Kunst - die Kunst des Verlierens." Gundolf S. Freyermuth
Auch Bukowskis Witwe möchte, dass nach ihrem Tod im Haus ihres Mannes in Los Angeles ein Museum
entsteht, mit dem Arbeitszimmer Buks und den Manuskripten seines Spätwerks. Es handelt sich um die
Villa in San Pedro, die der vermögend gewordene Autor 1978 erwarb, was enttäuschte deutsche Fans    
mit Liebesentzug quittierten ("bourgeoises Schwein", "Verräter der Pennerklasse"). Ob die kalifornische
Weltstadt oder die rheinische Kleinstadt Standort des ersten Bukowski-Museums wird, ist ungewiss; man
darf auf die kalifornische Weltstadt wetten. Immerhin kann Andernach mit einer schnuckeligen Bukowski-
Ecke in seiner Stadtbücherei aufwarten - eine von Andernachs schönsten oder "schmutzigsten" Ecken,    
je nach Gusto.
Im Ariel-Verlag erschien Los
Angeles - Andernach. Briefe an
Onkel Heinrich, hg. von der
Charles-Bukowski-Gesellschaft.
Der 2001-Versand schnitt die
Lesung Bukowskis 1978 in
Hamburg mit und gab sie als LP
heraus; 2008 neu veröffentlicht
auf CD ("Hello, it´s good to be
back!").
Das Label Bellaphon edierte eine
DVD mit Filmen von Thomas
Schmitt: "Charles Bukowski in
Hamburg" und "Bukowski zum
Siebzigsten" (gedreht im Haus 
des Autors).
"Hey, Buk, bei uns schäumt das Bier am besten!"
Der Ritterschlag zum Klassiker - ein eigenes Straßenschild in den Andernacher Rheinanlagen!
"Hank...?"
Die Barmherzigkeit der Literatur

Und doch: Dieser Autor war ein Wunder an Widerstandskraft, ein Loser, der nicht unter-
ging, ein Bad Guy, der menschlich blieb und das glanzlose Leben der Abgehängten in glän-
zende Literatur zu verwandeln verstand. Bukowski gewährt seinen Figuren die Gnade
künstlerischer Verarbeitung, die sie vor sich selber und der Verachtung der Leser schützt -
im Gegensatz zu den quasi nackt abgefilmten Menschen des sogenannten "Unterschichten-
Fernsehens". Der Dichter nimmt sich Zeit, dringt in seelische Schichten vor, die seine 
Figuren mit den Lesern teilen. Solche Schichten erreicht das Reality-TV nie. Stattdessen
bedient es krude Vorurteile, liefert die ohne den Filter der Fiktion dargestellten Personen
dem Voyeurismus aus. Die Lost Souls im Fernsehen verlieren ein zweites Mal, während     
sie bei Bukowski ihre Würde zurückgewinnen. Aber nicht durch Moral, sondern durch     
stilsichere Überzeichnung, die das Leben der Außenseiter häufig so komisch und lustvoll
vulgär erscheinen lässt, dass auch der normale Leser sich mit ihnen identifiziert.
Selbstportrait in Öl, 1983
"Mein Essen bestand im Allgemeinen
aus einem Schokoriegel täglich. Eine
Flasche billiger Wein war das Teuer-
ste, was ich mir leistete. Ich rauchte
Selbstgedrehte und schrieb Hunderte
Short Stories, die meisten in Tinte  
mit der Hand." Basic Training/
Grundausbildung
"Ich wollte die Fallen umgehen und
durchhalten, wollte an der Maschine
sterben, mit einer Flasche Wein zur
Kein "Giftschrank", alles frei zugänglich - die Bukowski-Ausstellung in der Stadtbibliothek wurde von der
Künstlerin Doris Büma 2018 neu gestaltet. Inzwischen ist die Ausstellung in den zweiten Stock der Bücherei
umgezogen - was jedoch keine gute Idee war...
"Ich wäre dein stärkster Roman-
held geworden, Hank. Ich eigne
mich für obszöne Literatur."
Vom "Heini" zum Popstar der Literatur

Mit knapp fünfzig quittiert er den Dienst, um Karriere zu machen, Karriere als Schriftsteller.
Und tatsächlich, das Davonfliegen - "wie ein Pfeil Richtung Himmel" - gelingt dem ehema-
ligen Nietenzieher. Der Roman Der Mann mit der Ledertasche - die deutsche Übersetzung 
von Post Office - und der Band Gedichte, die einer schrieb, bevor er im 8. Stock aus dem Fenster
sprang werden zu Bestsellern, vor allem in Buks Geburtsland. Als der Dichter 1978 zu einer
Lesung nach Hamburg kommt - vor der er, "der eher schüchterne Mensch" (Freyermuth),
gehörig Bammel hat -, feiern ihn 1200 Zuhörer wie einen Popstar. Von diesem Ausflug zu  
den Wurzeln erzählt das Buch mit dem bezeichnenden Titel Die Ochsentour. Der Einzel-
gänger steht erstmals im Licht der Öffentlichkeit, was ihn häufig zu überfordern scheint. 
Seine erste Deutschlandreise wird auch seine letzte bleiben.

In Andernach besucht Bukowski den 90-jährigen Onkel Heinrich. Dieser zeigt ihm sein     
Geburtshaus in der Aktienstraße, das gerade zum Verkauf steht. In der Wohnung des Onkels
wird der Heimkehrer herzlich bewirtet: "Die Wohnung war blitzblank, typisch deutsch wie
auch der Kuchen und Kaffee... es war die Zeit, wenn man sich zusammensetzte und freund-
lich plauderte; es war eine Pause im Daseinskampf; sie war notwendig und gut."
So lernten sich Buks Eltern kennen

Der Onkel erzählt seinem Neffen, wie seine Familie nach dem Ersten Weltkrieg Hunger litt,
wie sie sah, dass die einquartierten US-Soldaten Fleisch aßen und das Fett wegwarfen, wie
seine Schwester - die spätere Mutter Bukowskis - dem Sergeanten Bukowski deshalb
empört auf die Stiefel spuckte, wie der Sergeant ihr daraufhin jeden Abend Fleisch, Brot,
Gemüse brachte - und "so lernten sie sich kennen und später heirateten sie." So hat er es
also gedreht, registriert der Autor kühl. Das schlechte Verhältnis zu seinem Vater war wohl
ein Hauptgrund für sein rebellisches und zugleich defätistisches Lebensgefühl. Der Vater war
nicht sein Vorbild, der Vater war sein Feind. "Familie plus Gott und Vaterland, ein Zehn-
Stunden-Tag dazu, und schon hatte man alles, was man brauchte" - dieser Glaube, den 
Henry Senior Henry Junior mit brutaler Insistenz einzutrichtern versuchte, ließ den Sohn  
sich gegen alle bürgerlichen Werte verschließen. Der Preis für die Fundamentalopposition
aber ist hoch: Jobhopping, Arbeitslosigkeit, Armut, Alkoholabhängigkeit. Kein Leben im
Wohlstand, sondern im ständigen Ausnahmezustand, was den Blick für die Tragik der
menschlichen Existenz schärft.
Der Outsider kriegt die Kurve, bleibt aber Outsider

Die Kraft zur Rebellion raubt Bukowski zugleich Kraft, macht Depression zum Grundtenor
seines Lebens, lässt ihn seinen Defätismus niemals ablegen. Er kommt noch in der Ochsentour
zum Ausdruck, obwohl sich da schon der Erfolg eingestellt hat: "Es stimmte doch, daß das
Leben nicht zum Aushalten war, nur den meisten Leuten hatte man beigebracht, so zu tun, 
als wenn das nicht so wäre." Die Erfahrung, dass so viele Menschen, allen voran der eigene
Vater, einem geschadet und nicht geholfen haben, lässt sich nicht verwinden, auch wenn man
sich auf seine alten Tage vom Nietenzieher zur literarischen Stimme der Nietenzieher wan-
delt, dank plötzlich fließender Tantiemen gar ein eigenes Haus (inklusive Jacuzzi und neun
Katzen) erwerben kann. Der begabte Mensch kehrt spät zurück, aber versehrt und einge-
schränkt in seinem Leben und in der Thematik seines Schaffens.
Linken und vielleicht Mozart aus 
dem Radio zu meiner Rechten."
Basic Training/Grundausbildung
Galeerensträfling bei der Post

15 Jahre als Briefträger und -sortierer bei der Post, wo das Arbeitspensum rigoros genormt
ist, bestärken Bukowski in dem Eindruck, dass er zu den Nietenziehern gehört. Wer nicht
ehrgeizig genug ist im bürgerlichen Leben, wird mit besonders stressiger Arbeit bestraft  
("ich schlief den ganzen Tag, um mich für den Job auszuruhen", heißt es in Post Office,        
dem autobiografischen Roman über diese Zeit). Dass die Würde des Menschen unantastbar
sei, ist zwar eine Forderung des Grundgesetzes, doch die Arbeitswelt in den USA und in
Deutschland - für die das Grundgesetz gilt - hält sich keineswegs branchenübergreifend
daran, wie etwa der Niedriglohnsektor oder der Gender Pay Gap zeigen.

Aber dieser Mann pflegt über Jahrzehnte sein literarisches Talent: "Erst wenn man lernt,     
zu retten, was man retten kann, wird man weniger besiegt und weniger vernichtet werden."     
In Gedichten und Short Stories, anfangs publiziert in Untergrundzeitschriften, schildert Buk      
die eigene Misere und die Misere anderer Lost Souls, unverblümt realistisch und so direkt,
dass man dabei zu sein meint. Sex und Suff spielen einer nicht zu übersehende Rolle; sie
erscheinen als Privileg der Nichtprivilegierten, als Mittel, um zu spüren, dass man lebt,      
und zwar im wilden Zentrum des Lebens. Mit seiner brutalen und brutal guten Schreibe will
der Autor sich jenen Respekt erobern, den die Gesellschaft ihm versagt, der "Dirty Realism"
ist seine Form der Rebellion. Und die Rechnung soll aufgehen - diesen amerikanischen
Schulhof wird Bukowski nicht als Besiegter verlassen...
derzeit das Karnevalsmuseum eines begeisterten Faasenachters und Kranführers im Hafen. Der Mann hat,
genau wie die Stadt, keinerlei Vorbehalte gegen diese Idee. Ein solches Museum könnte sich dem Thema
"Bukowski und Deutschland" widmen; das Archiv der Gesellschaft birgt eine Fülle an Material. Doch sind 
die Bau- und vor allem Betriebskosten bis dato eine unüberwindbar hohe Hürde.
© 2009-2023 Wolfgang Broemser
Der genialste "Maulwurf-Poet" der amerikanischen Literatur stammt aus Andernach. Charles
Bukowski wurde hier 1920 als Sohn eines US-Soldaten und der einheimischen Näherin
Katherina Fett geboren. Drei Jahre später zog die Familie nach Los Angeles, in die Geburts-
stadt des Vaters, um. Der Ex-Sergeant arbeitet nun als Milchausfahrer, legt sich mit jedem an,
betrügt seine Frau, verdrischt seinen Sohn, wenn der den Rasen nicht akkurat genug mäht.

In der Schule hat Bukowski kaum Freunde. Er ist zwar ein guter Schüler, aber ein schlechter
Baseballspieler, wird als "Heini" und "Sauerkrautfresser" verspottet, muss andere verprügeln,
um nicht selbst verpügelt zu werden. "Auf amerikanischen Schulhöfen war mir von klein auf
beigebracht worden, dass es eine Schande war, wenn man sich besiegen ließ", wird sich sein
literarisches Alter Ego Hank Chinaski später erinnern. Ein durch ein Stipendium ermöglichtes
Journalismus-Studium am L. A. City College bricht Buk wieder ab. Ohne Berufsausbildung 
zieht er in den 1940er-Jahren von Job zu Job, von Stadt zu Stadt, arbeitet in Hundekuchen-
fabriken und Schlachthöfen, in Tankstellen und Versandabteilungen. Sein Alkoholkonsum in
dieser Zeit und auch später ist gleichbleibend hoch. Ein begabter Mensch geht vor die Hunde.
Das Schreiben half Bukowski nicht nur, zu überleben, es half ihm auch, achtsam zu sein für
andere prekäre Existenzen, die sonst niemand zur Kenntnis nimmt - wie es die Schilderung
des Schicksals von Betty in Post Office zeigt, die, von ihren Kindern verlassen, als Putzfrau     
in einem schäbigen Hotel endet und sich zu Tode säuft. Oder, in demselben Buch, die Dar-
stellung des alten Briefträgers, der "wie ein treuer Gaul war, der einfach nicht mehr weiter-
gehen kann". Oder das Portrait der Stripperinnen vom Burbank, die nicht nur als Objekte,
sondern als Menschen kenntlich werden. Diese Humanität, die in der Beschreibung in-
humaner Verhältnisse aufscheint, hat wohl zu der erstaunlichen Popularität des "Gossen-
poeten" beigetragen, neben der Romanhaftigkeit seines Lebens und dem Drang, Lebens-
weisheiten zu destillieren, sich selbst und seinen Lesern eine Art Mentor zu sein, weil man
selbst nie einen hatte. Nach seinem Tod übernahm die Huntington Library den Nachlass des
Autors, es fanden Bukowski-Auktionen statt, und der Strom nachträglich publizierter Werke
riss jahrelang nicht ab. Der Underdog aus Andernach ist zu einer veritablen Ikone der US-
Popkultur aufgestiegen. Trotzdem steht er nicht jedem, schon gar nicht der Mehrheit. Dafür
war er zu groß im Leiden, Kämpfen und Provozieren.
In einem Interview mit der Rhein-
Zeitung, 3. Juni 1978
Die literarische Stimme der Nietenzieher
Das ist nicht Hank!