Als Therese Schumacher lernte, mit Stäbchen zu essen...
Offenbar hatte dieser Held der Wissenschaft bis dahin nur für das Studium der Pflanzenmedizin und organischen
Chemie gelebt. Dank einem Regierungsstipendium hatte er sich an der Berliner Universität "das Rüstzeug für eine
glänzende Karriere im eigenen Land erworben" (N. Jahn). Mit einer Arbeit über Eugenol war er zum Doktor pro-
moviert worden. Aus Verehrung für sein Gastland nannte Nagai sich fortan "Wilhelm". Gut möglich, dass dieser
urdeutsche Name Berührungsängste bei der Familie seiner zukünftigen Frau abbauen half. Denn das 21-jährige
"herrliche Mädchen" aus Andernach war von dem feschen Samurai ebenso angetan wie er von ihr. Zunächst 
musste sich das frisch verliebte Paar aber wieder trennen.
Hochzeit im Mariendom

Im Jahr des "Funkenflugs" wurde Nagai nämlich an die Universität Tokio berufen und gründete dort eine pharma-
zeutische Firma. 1885 entdeckte er das Ephedrin, die Grundsubstanz eines Asthma- und Hustenmittels. Der Mann
aus dem fernen Osten war also mittlerweile eine erstklassige Partie, als er sich am 27. März 1886 mit Therese in
der Andernacher Pfarrkirche vermählte - auch wenn er kein Christ war. Doch auch das wurde korrigiert, durch
Nagais Übertritt zum Katholizismus dreizehn Jahre später.

In der Folgezeit entwickelte sich der Professor zum Gründungsvater der modernen Chemie und Pharmazie in
Japan. Er war der erste Präsident der Japanischen  Gesellschaft für Pharmazie, Mitbegründer der Frauen-Universität
von Tokio, Mitglied der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften. 1911 wurde er Präsident der neugegründeten
Deutsch-Japanischen Gesellschaft. Er setzte sich für die Gleichstellung der Frauen ein, ebenso für den Kontakt  
und den Ausgleich mit anderen Ländern.
"Als ich zurück nach Frankfurt kam, war ich die ganze Zeit mit Frau Lagerström (seiner Berliner Pensionswirtin, Anm. d. Verf.)
im Hotel Nassauer Hof zusammen. Es gab da eine Mutter mit einer Tochter. Im Speisesaal habe ich sie zum ersten Mal
gesehen. Ich dachte: Was für ein herrliches Mädchen... Mit dem Fräulein wollte ich mich unterhalten, aber es kam kein Wort
zum Mund. Nach einer Weile habe ich endlich ein Wort gesagt: 'Möchten Sie keinen Honig?' Meine Stimme zitterte. So 
haben wir uns kennengelernt." (Zit. n. Norbert Jahn, Da erfasste mich Sehnsucht nach Euch lieben Menschen... Ich muss   
Euch schreiben. - Fast ein Briefroman, in: Andernacher Annalen 6)
Therese fasste in der Fremde schnell Fuß

Wie erging es nun Therese im fernen Nippon? Mit einem Wort: märchenhaft! Zwar belegen die vielen Briefe,   
die sie nach Andernach schreibt, Heimweh, trotzdem "steht sie mit beiden Beinen auch in ihrem neuen Leben.
Man spürt, wie sich allmählich neue Wurzeln bilden und die Gewöhnung an fremde Lebensweise, an ungewohnte
Umgangsformen, Fortschritte macht" (N. Jahn). Die Familie des prominenten Wissenschaftlers verkehrt in den
besten Kreisen, und die rheinische Kaufmannstochter beweist, dass sie absolut parkettsicher ist. Therese lehrt    
an der Frauenhochschule von Tokio und versucht, dem Land deutsche Küche und Kultur schmackhaft zu machen.
1923, im Jahr des verheerenden Erdbebens in Tokio, empfangen die Nagais sogar Albert Einstein, als dieser ver-
sucht, die Aufhebung des nach dem Ersten Weltkrieg gegen Deutschland verhängten Wissenschaftsboykotts        
zu erwirken.
Deutschland als zweites Vaterland

Drei Kinder, Alexander, Elsa und Willy, gehen aus der Ehe hervor. Die Namen verraten, welch perfekte deutsch-
japanische Symbiose im Hause Nagai herrscht. Die Kinder sprechen ausgezeichnet Deutsch und empfinden die
Heimat der Mutter zeitlebens als ihr zweites Vaterland. Der ältere Sohn Alexander arbeitet später als Diplomat   
in Berlin und Hamburg. Nach einem Besuch bei den Schumachers in Andernach schreibt er:
Gedächtnisorte in Tokio und Andernach

Fünf Jahre später stirbt auch Vater "Wilhelm". Kurz zuvor hatte er noch einmal Deutschland besucht und war zum
Ehrenmitglied der Deutschen Chemischen Gesellschaft ernannt worden. 1972 errichtete die Japanische Pharma-
zeutische Gesellschaft auf einem von der Familie gestifteten Grundstück mitten in Tokio die Nagai-Gedächtnis-
halle. Im Jahr 2000 würdigte die Deutsch-Japanische Gesellschaft Nagais Werk mit einer Ausstellung in Berlin,   
die den schönen Titel trug: "Eine japanisch-deutsche Gründergeschichte".
"Andernach ist meine zweite Heimat geworden und ein starker Zug zieht mich hin. Ich habe mich so ganz zu Hause gefühlt
und das Bild vom Andernacher Turm und Dom steht auf meinem Tisch... Den schönen Wein, der die Menschenherzen lustig
und zufrieden macht, vermisse ich sehr."
Es ist ein Schock für die Familie, als 1924 die geliebte Mutter im Alter von nur 61 Jahren stirbt. Sie wird auf 
eigenen Wunsch an einem herrlich gelegenen Ort hoch über dem Meer, mit Blick auf den Fujiyama, beerdigt.
"Auch hier ehrt man das Andenken und die Herkunft einer ungewöhnlichen Frau: Ein Reliefbild des Andernacher
Mariendoms ziert neben einer  an diesem Ort recht ungewöhnlichen, fast lebensgroßen Marienstatue 'Mamasans'
Grabmonument, die heutige Familiengrabstätte" (N. Jahn).
Zur Erinnerung an die Hochzeit seiner Großeltern im Mariendom stiftete Enkel Teigi Nagai 1994 diesen
imposanten Kronleuchter. Er stellt das Himmlische Jerusalem dar und hängt über dem Hochaltar der Andernacher
Pfarrkirche. Schöpfer der Bronzeplastik war der in der Eifel lebende, international gefragte Bildhauer Ulrich Henn.                              
© 2009-2024 Wolfgang Broemser
 
"Die eigenständige Entwicklung Japans
ist der einzige Weg, dem Westen
unsere Dankbarkeit zu zeigen für das,
was wir gelernt haben. Damit können
wir den Westen auch an unseren
neuen Errungenschaften teilhaben
lassen. Für Geschenke muss man sich
revanchieren."
                      Prof. Nagayoshi Nagai
Drogenpionier wider Willen

Tragik eines Forscherlebens: Humanitär 
in seinen Absichten und unmittelbaren
Wirkungen - Völkerverständigung,
Förderung der Frauen -, entdeckte Nagai
gerade solche Stoffe, die heute für welt-
weiten Drogenmissbrauch stehen. 1893
synthetisierte er das Stimulans Metamphe-
tamin, das deutsche Soldaten im Zweiten
Weltkrieg schluckten ("Hermann-Göring-
Pillen"). Heute macht es als Wirkstoff der
berüchtigten Droge Crystal Meth Schlag-
zeilen. In der TV-Serie Breaking Bad pro-
duziert und verkauft ein krebskranker
Chemielehrer die Droge, um das Aus-
kommen seiner Familie nach seinem Tod
zu sichern. Auch das Ephedrin, das Nagai
aus dem Ephedra-Kraut, einer chinesi-
schen Heilpflanze, isolierte, gilt heute    
als bedenklich. Ursprünglich ein Mittel 
gegen Asthma und Husten, sind Ephe-
drinpräparate seit 2001 in deutschen
Apotheken nicht mehr frei erhältlich,  
weil sich aus ihnen Appetitzügler und
Drogen hergestellen lassen.
...trugen Polizei und Militär in Deutschland noch Pickelhauben, war Frankreich der innig gehasste Erbfeind, und
sollte die kaiserliche Flotte mindestens so stark werden wie die britische. Doch bei der Andernacherin und ihrem
japanischen "Märchenprinzen" standen die Zeichen auf Neugier und Offenheit für das Fremde. Prof. Nagayoshi
Nagai war der Pionier der pharmazeutischen Wissenschaft in seinem Land, Therese die Tochter eines Kohlen- 
und Baustoffhändlers aus der Kölner Straße, Nagais über alles geliebte deutsche Frau.

In einem Frankfurter Hotel funkte es

Wie kam es zu dieser außerordentlichen Liaison, verglichen mit der die Verbindung von Katherine Fett und dem
GI Charles Bukowski sen. fast alltäglich wirkt? Der Funke sprang in Frankfurt über, am 3. September 1884. Der
schon 39-jährige Dr. "Wilhelm" Nagayoshi Nagai machte zum Abschluss seines Chemiestudiums in Berlin eine
Rheinreise:
Sakura-Lied Cherry Blossoms